Auf Kurs bleiben! Kants Kompass: Geschicklichkeit und Klugheit in einer beanspruchenden Arbeitswelt

Der Philosoph Immanuel Kant († 1804) gilt nun nicht gerade als einfach zu fassender Beistand zu Fragen der gegenwärtigen Arbeitswelt, könnte man meinen. Denn diese ist komplex, widersprüchlich, herausfordernd und selten nicht belastend – Umstände, die nicht zwingend mit Kant in Verbindung gebracht werden.
Wie navigiert man in anspruchsvollen Arbeits- und Lebenswelten klug? Hierauf hält Kant uns sehr einprägsame Überlegungen, einen Kompass bereit.

Für das individuelle Handeln schlägt Kant uns sogenannte pragmatische Prinzipien vor: Geschicklichkeit und Klugheit.

Geschicklichkeit
Geschicklichkeit ist in einer global vernetzten, beschleunigten, technologisch dynamischen und komplexen Arbeitswelt zentral: Umgang mit KI, Digitalisierung, soziale Medien, Übererreichbarkeit, Stress etc.
Im Mittelpunkt steht die Frage: Was ist nützlich? Was zahlt wie stark auf ein Ziel, einen Zweck ein? Mittel zum Zweck! Die Fähigkeit, Mittel zur Erreichung selbstgewählter Ziele/Zwecke effizient einzusetzen, ist hier tonangebend.

Auf die Arbeitswelt übertragen heißt: Wie priorisiere, organisiere, kommuniziere ich effektiv? Wie behaupte ich mich im beruflichen Alltag selbstbestimmt? Ist das die beste Möglichkeit, das Ziel unter welchen Bedingungen auch immer zu erreichen? Doch Achtung! Sind die Ziele vage und unklar, sind zuerst diese zu klären.
Auf die Frage also: Was soll ich tun? schlägt Kant - ein erster Denkschritt - eine Wenn-Dann-Struktur vor.

I. Wenn zwischen dem Zweck p und dem Mittel q ein Verhältnis der Art besteht, dass nur das Aufgreifen von q die Realisation von p ermöglicht, man II. q ergreifen kann und III. man p auch will, IV. dann soll man q tun.[1]

Wenn du Erfolg im Beruf haben willst, dann strebe in allem nach weiteren Aufgaben, Verantwortungen, Projekten, Karrierechancen, Handlungsoptionen und Verdienstmöglichkeiten, mit welchen Mitteln auch immer – das ist eine geschickte Handlungsanweisung. Die Frage dahinter: Ist dies die beste Möglichkeit, den Zweck, das Ziel unter gegebenen Bedingungen zu erreichen?
Doch ist es auch eine kluge Handlungsanweisung? Das ist hier unerheblich, denn es geht nur darum, zu wissen, was man tun muss, wenn ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll. Das ist aber auch genau das Problem. Denn die Frage, ob das gut für mich ist, mir guttut und ich das überhaupt will, ist noch nicht geklärt.

Klugheit
Hier bietet Kant einen zweiten Denkschritt an: Die vorangegangenen Regeln und Handlungsanweisungen der Geschicklichkeit, die nur mit Blick auf ein mögliches Ziel ausgerichtet sind, können problematisch sein. Denn wie bestimme ich denn das Ziel?
Zum Wesen des Menschen gehört nach Kant geradezu naturnotwendig das Streben nach Glück, nach einem sinnvoll erfüllten Leben. Überlegungen, dieses zu erreichen, können keine Handlungsanweisungen oder Vorschriften sein. Sie raten an, sich so oder so zu verhalten, wenn man dieses erfüllte Leben erreichen will.
Wenn du Erfolg im Beruf haben willst, dann strebe in allem nach weiteren Aufgaben, Verantwortungen, Projekten, Karrierechancen, Handlungsoptionen und Verdienstmöglichkeiten, mit welchen Mitteln auch immer. Aber will ich das denn und inwieweit führt dies zu einem erfüllten, sinnvollen Leben?

Die Frage dahinter: Ist dies das beste Ziel, das ich anstreben kann? Ist es das beste Ziel für mich, das ich erreichen will, (allein) Erfolg im Beruf zu haben?

Kant nennt Ratschläge der Klugheit jene, die sich auf das Streben nach dem (eigenen) Glück beziehen. Sie sind nicht geboten. Ihnen zu folgen, kann jedoch klug sein, wenn die Fähigkeit, langfristige Folgen abzuschätzen und verantwortungsbewusst zu handeln, hinzutritt. Klugheit bedeutet, umsichtig und so zweckmäßig zu handeln, sodass ein angenehmes und erfülltes Leben ermöglicht wird.
Willst du glücklich sein, dann vermeide Konflikte auch, indem du notfalls lügst – so könnte ein Ratschlag der Klugheit lauten. Doch Glück ist ein subjektives Konzept. Somit bleiben die Ratschläge zur Klugheit unsicher, vage, inter- und intraindividuell uneindeutig. Gegenwärtig zeigt sich, dass nicht wenige Menschen versuchen, durch Leistung und Effizienz, Selbstoptimierungsübungen und soziale Überanstrengungen ein erfülltes Leben zu erreichen. Nicht selten geht das auf Kosten ihrer Gesundheit oder sozialen Beziehungen.

Grenzpfosten
Hier lässt sich dann auch eine Grenze erkennen: Wenn das wie auch immer bestimmte Glück ständig und allein mit Erfolg und Produktivität gleichgesetzt wird, wird es so gerade verhindert, weil die damit verbundene andauernde Be- und Überanspruchungen zu Stress und gesundheitlichen Problemen führen. Das ist keinesfalls „glücksförderlich“.

Kant schlägt, sozusagen als dritten Denkschritt, eine moralische Prioritätensetzung vor: Was ist wirklich wichtig? Wofür lohnt es sich für mich, Zeit und Energie einzusetzen? Was ist das Wesentliche? Hier lautet der Ratschlag: schaue nicht nur auf das, was nützlich und klug ist, sondern was richtig ist - für dich (und andere). Was soll ich tun, um richtig zu handeln – auch mir selbst gegenüber?
Weder Geschicklichkeit noch Klugheit allein führen zu echter Lebensqualität, wenn sie sich nur auf Effizienz oder Eigennutz richten. Erst durch moralische Reflexion, also durch die Frage nach dem richtigen Handeln – sich selbst und anderen gegenüber – entsteht eine sinnvolle Prioritätensetzung.
Kant ermutigt damit auch heute, nicht nur gut zu funktionieren, sondern bewusst zu leben – mit Maß, Verantwortung und innerer Orientierung.

Fazit
Immanuel Kants Überlegungen bieten Einsichten für die komplexe und herausfordernde Arbeitswelt von heute.
Die Prinzipien der Geschicklichkeit und Klugheit helfen uns, unsere Handlungen effektiv zu gestalten und gleichzeitig ihre Qualität zu hinterfragen.
Geschicklichkeit führt uns dazu, Mittel effizient einzusetzen, um Ziele zu erreichen, während Klugheit uns zur Reflexion über die Bedeutung dieser Ziele anregt.
Kants Appell, moralische Prioritäten zu setzen und zu hinterfragen, was wirklich wichtig ist, hilft uns, ein erfülltes Leben zu führen, das nicht nur durch Erfolg und Produktivität, sondern auch durch innere Orientierung und Verantwortung geprägt ist.
In einer Arbeitswelt, die zunehmend von Überlastung und Selbstoptimierung geprägt ist, bietet Kants Philosophie wertvolle Einsichten und Handlungsorientierungen, die es ermöglichen, auf Kurs zu bleiben und die eigene Lebensqualität nachhaltig zu steigern.

©Dr. Armin Kutscher, 2025

Quellen:

[1] Schönecker, Dieter, Wood, Allen W., Kants "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten": Ein einführender Kommentar, Schöningh Verlag, Paderborn 2002, Seite 111.

Abb. F. Romey.

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