Gefährliche Liebschaften? Esoterik und Populismus

„Je genauer wir das Fremdwort ins Auge fassen, desto sonderbarer blickt es zurück.[i]

Auf den ersten Blick scheinen Esoterik und Populismus wenig miteinander zu tun zu haben. Während Esoterik als individuelle Sinnsuche oder spirituelle Praxis verstanden werden kann, gilt Populismus als politisches Phänomen. Bei genauerer Betrachtung lassen sich jedoch Berührungs- und Anknüpfungspunkte sowie Wechselwirkungen und Abhängigkeiten feststellen. Während sich einige esoterische Sprengel auf Selbstfindung und Selbstoptimierung konzentrieren, lancieren andere Verschwörungstheorien und alternative Erklärungen für gesellschaftliche Krisen. 

In Krisenzeiten bildet sich eine Anschlussfähigkeit an populistische Narrative aus: Ablehnung der „Elite“, „des Systems“, einfache Erklärungen für komplexe Probleme, Suche nach verborgenen Wahrheiten etc. 

Schnittmengen zwischen bestimmten esoterischen Denkmustern und populistischen Narrativen können problematisch sein, wenn sie zu einer generellen Ablehnung demokratischer Institutionen oder wissenschaftlicher Erkenntnisse führen. Esoterik bereitet dann den Boden für populistische Bewegungen. 

Esoterik ist keineswegs ein einheitliches Phänomen. Und nicht jede Form der Esoterik hat eine politische Dimension. Esoterik ist ein vielschichtiger Begriff und verwirbelt unterschiedliche Schattierungen. Die „eine Esoterik“ gibt es nicht. Eher handelt es sich um ein breites Spektrum an Glaubenssystemen, Überzeugungen und Praktiken.

Dementsprechend sind auch nicht alle Formen der Esoterik gleichermaßen populismusanfällig. Praktiken wie Meditation, Achtsamkeitsübungen oder Yoga sind unpolitisch. Es handelt sich im besten Sinne um schätzenswerte, vielleicht auch befragenswerte, Präventions- und Optimierungsanstrengungen. 

Wo jedoch das Misstrauen in demokratische Institutionen, gegenüber „den Eliten“, „dem System“ und der Wissenschaft vorwaltet, wo verschwörungsnahe Vorstellungen kursieren, dass diese Institutionen „die Wahrheit“ zurückhalten oder gar unterdrücken, ist die Anschlussfähigkeit an populistische Narrative greifbar.

Kosmische Bewusstseinserweiterung, Tarot-Karten, Hexenglauben, Horoskope, Energiereinigung, Heilsteine, alternative Heilmethoden und Geisterglaube etc. mögen für Menschen auf der Suche nach Sinn wie auch immer bereichernd sein, können persönliches Wachstum begleiten und/oder eine spirituelle Erfahrung begünstigen. Das Angebot ist groß. Die massenmediale Vermittlung dreht heiß. Der Markt milliardenschwer - das Umsatzvolumen liegt um die 20 Milliarden Euro (die deutsche Brauwirtschaft kommt auf 8,6 Milliarden Euro). 

Esoterik kann vielleicht bereichernd sein. Inwieweit sie Lebenshilfe bieten kann oder eher eine (monetäre) Falle darstellt, wird sich zeigen. Esoterik kann abdriften und zur Nährlösung für populistisches, antisemitisches und rassistisches Gedankengut werden.

Aber um es nochmal zu betonen: Nicht jede esoterische Überzeugung oder Praktik führt zu Verschwörungsideologien oder in populistische Zonen. 

Nicht selten sind esoterische Denkansätze jedoch eine Einstiegsdroge für populistische Positionen und Rechtsextremismus. Bestimmte esoterische Leitmotive fördern diesen Einstieg. Neben den bereits genannten sind das

  • Erkenntnisansprüche, die auf das „eigentliche“ oder das „absolute“, „höhere“ Wissen abheben. 
    • „Dreh- und Angelpunkt aller esoterischen Traditionen sind Erkenntnis-ansprüche, die auf das .eigentliche' oder das absolute Wissen abheben, und die Modi, dieses Wissen verfügbar zu machen [...]. Die Modi, in denen sich ein Diskurs absoluter Erkenntnis entfaltet, haben mit der Dialektik von Verborgenem und Offenbartem zu tun [...].Was einen Diskurs esoterisch macht, ist die Rhetorik einer verborgenen Wahrheit, die auf einem bestimmten Weg enthüllt werden kann. [ii]
  • Der immer wieder betonte Gegensatz zwischen Gefühl und Verstand und die Überzeugung von der Seele als der alles bestimmenden Kraft. 
  • Fehlende Rationalität: Der (selbst-)kritische Umgang mit Aussagen, der Einwände ernst nimmt und Argumente anhand ihrer Plausibilität einschätzt und abwägt ist wenig ausgeprägt.
  • Erweckungserlebnis“ als Abgrenzung: Wenn sich Menschen innerhalb einer esoterischen Bewegung als „die Erwachten“ oder „die Wissenden“ sehen und den Rest der Gesellschaft als „Schlafschafe“ oder manipulierte Masse abwerten.
  • Meisterbrief: Potenziell kann jeder eigenmächtig sich zu einer(m) erfahrenen Meisterin/Meister erklären, die den Zugang zur größeren Realität vermitteln. Es gibt keine allgemeinverbindlichen Regeln, was Qualifizierung und Qualitätssicherung betrifft.
  • Absolutheitsanspruch: Wenn eine esoterische Weltanschauung als „einzige Wahrheit“ propagiert wird und alternative Sichtweisen als Manipulation oder Lüge dargestellt werden. 
  • Wahrheit wird privatisiert und dem offenen, rationalen Diskurs sowie der empirischen Überprüfbarkeit entzogen. Subjektiven Erfahrungen lassen keine Möglichkeiten, Selbsttäuschungen und Irrtümer zu korrigieren. Wahr ist, was gut für dich klingt. Immunisierung gegen Kritik: Persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen wird ein absoluter epistemischer Status eigeräumt, der gegen Kritik immun ist.
    • „Quellen liefern keine allgemein zugänglichen und überprüfbaren Informationen, sodass esoterisches Wissen nicht unter Abwägung von Argumenten diskutiert oder empirisch überprüft werden kann, sondern intuitiv und unmittelbar gewonnen werden muss.[iii]
  • Denkkonzepte, die dualistisch, manichäisch, in einer schlichten zweiwertigen Logik trennen zwischen Licht/Dunkelheit, Gut/Böse, Wissende/Unwissende, Volk /Elite, schwarz/weiß. Das führt zu einer Vereinfachungsillusionen: Durch Vereinfachung komplexer Sachverhalte entsteht eine Illusion des Verstehens.
  • Das Ganze ist nicht durch die Analyse seiner Teile zu verstehen oder durch die Summe von ihnen: 
    • „Das Universum wird als ein großes Netzwerk verstanden, in dem alle Elemente miteinander in Beziehung stehen. Makro- (z. B. Planeten) und Mikrokosmos (z. B. der einzelne Mensch) entsprechen sich. Daher kann aus dem Großen auf das Kleine geschlossen werden und umgekehrt. Der ganze Kosmos wird als ein komplexes, beseeltes System gesehen, das von einer lebendigen Energie durchflossen wird. Durch Veränderungen des Energieflusses auf geistiger oder körperlicher Ebene können körperliche Beschwerden gelindert werden.[iv]
  • Ganzheitlich: Während wissenschaftlich-technische Erklärungen oft als unpersönlich und fragmentiert wahrgenommen werden, bietet Esoterik ein holistisches Weltbild, das Sinnzusammenhänge betont und Rationalität mit Spiritualität verbindet.
  • Selbstermächtigung: Ansprüche auf individuellen Zugang zu einer absoluten Erkenntnis – was einhergeht mit einer konfrontativen Stellung gegen andere Wissensformen.
    • „Das Motiv der Selbstermächtigung und Erkenntnis absoluter Wahrheit, unabhängig davon, ob man es 'Gnosis' nennt oder nicht, taucht in esoterischen Diskursen an vielen Stellen wieder auf.[v]
  • Magisches Denken: Denkweise, bei der Menschen glauben, dass ihre Gedanken, Wünsche oder symbolische Handlungen direkten Einfluss auf die physische Realität haben, obwohl es keine kausale Verbindung gibt. Menschen glauben, dass sie aktiven Einfluss - durch Worte, Gedanken, Handlungen - auf die Weltläufe und deren Zusammenhänge nehmen können. Alles lässt sich steuern, kontrollieren, beeinflussen.
  • Zugehörigkeit: Esoterik vermittelt Teilhabe an einem Mehr als dem bekannten Leben. Das Gefühl, selbst einer höheren Ordnung zuzugehören, überhöht die individuelle Selbstfindung zum alles bestimmenden Drehpunkt. Folgen können eine elitäre Grundhaltung bis hin zur narzisstischen Selbstbezogenheit sein.[vi]
  • Etablierte Autoritäten werden infrage gestellt oder deren Legitimation bezweifelt. Die Auseinandersetzung rutscht in alternative Auslegungen, Deutungen und populistische Narrative ab.
  • Biologistisches Denken (Erklärungen für geschlechtsspezifisches Verhalten) - sich berufen auf die "Autorität der Natur". Hieraus werden normative Regeln und Ordnungen für gesellschaftlicher Kommunikation und Lebensform abgeleitet. 
  • Völkische oder neureligiöse Bewegungen beleben germanisch-arische Mythen und leiten ein Überlegenheitsdenken bestimmter „Rassen“[vii] daraus ab.
  • Verschwörungsnarrative: Wenn davon ausgegangen wird, dass eine geheime Elite (z. B. Regierungen, Pharmaindustrie, Medien) die Menschen bewusst täuscht oder „kontrolliert“.
  • Feindbildkonstruktionen: Wenn gezielt gegen bestimmte Gruppen (z. B. Wissenschaftler, Politiker, Journalisten) Stimmung gemacht wird.
  • Eskalation in Extremismus: Wenn spirituelle Überzeugungen mit Hass, Gewaltaufrufen oder der Ablehnung demokratischer Strukturen verbunden werden.
  • Die eigene Lebens- und Glaubensweise wird mit dem Gestus der moralischen Überlegenheit vertreten.

 

Esoterik kann eine Einstiegsdroge für populistische Positionen sein. Die vorgestellten Leitmotive können zur Überprüfung esoterischer Denkräume und esoterischer Praxis dienen.

Halten wir vorerst fest: Esoterik ist kein einheitliches Phänomen. Und nicht jede ihrer Prägungen führt zwangsläufig in populistische Denkmuster und Haltungen. 

Doch dort, wo esoterische Überzeugungen in ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber gesellschaftlichen Verhältnissen, Institutionen, Wissenschaft und Demokratie umschlagen, wo Wahrheit in alternativen Fakten zu ertrinken scheint, entsteht eine problematische Verbindung zu populistischen und verschwörungsideologischen Bewegungen. 

Demnächst: Esoterik - Begriff und Geschichte

 

Quellen:

[i] Enzensberger, Hans Magnus, Im Irrgarten der Intelligenz. Ein Idiotenführer, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2007.

[ii]Stuckrad, Kocku von, Was ist Esoterik. Kleine Geschichte des geheimen Wissens, C.H. Beck Verlag, München 2004, Seite 21.

[iii] Becker, Patrick, Zu einem integrativen Verständnis Wahrheit, Wissenschaft und Weisheit im (post-) modernen Diskurs, in: Lüke, U., Peters, H., (Hg.), Wissenschaft - Wahrheit - Weisheit : theologische Standortbestimmungen, Herder Verlag, Freiburg 2018, Seiten 110-136, hier Seite 132.

[iv] Becker, Patrick, Zu einem integrativen Verständnis Wahrheit, Wissenschaft und Weisheit im (post-) modernen Diskurs, in: Lüke, U., Peters, H., (Hg.), Wissenschaft - Wahrheit - Weisheit : theologische Standortbestimmungen, Herder Verlag, Freiburg 2018, Seiten 110-136, hier Seite 131.

[v]Stuckrad, Kocku von, Was ist Esoterik. Kleine Geschichte des geheimen Wissens, C.H. Beck Verlag, München 2004, Seite 47.

[vi] Flammer, Philipp, Esoterik: Die gesellschaftlichen Risiken der neuen Irrationalismen, in: Tangram 6 Religion und Esoterik - Religion et ésotérisme à la dérive?, Eidgenössische Kommission gegen Rassismus EKR, 3/1999, Seiten 7-12, hier Seite 8.

[vii] Der Begriff „Rasse“ ist keiner vernünftigen Interpretation zugänglich. Er kann es auch nicht sein, da jede Theorie, die auf die Existenz unterschiedlicher menschlicher „Rassen“ abstellt, in sich rassistisch ist: . https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/themen/rassistische-diskriminierung/begriff-rasse. Die Kategorie „Rasse“ ist unwissenschaftlich und menschenverachtend. Stellungnahme der Heidelberger Ethnolog*innen zum Begriff „Rasse:

https://www.eth.uni-heidelberg.de/md/eth/institut/statement_zu_konzept_und_begriff_rasse_fin.pdf

 

Verwendete Literatur: 

Baumgertel, L. Topoi in der Esoterik: Linguistische Perspektiven auf esoterische Sprache. In M. Krell, & T. Böhme (Hg.), Sächsische Realitäten: Analysen aktueller Protestphänomene der radikalen Rechten in Sachsen, Thelem Universitätsverlag, Dresden 2024, S. 310-337). Bergunder, Michael, Was ist Esoterik? Religionswissenschaftliche Überlegungen zum Gegenstand der Esoterikforschung, in: Neugebauer-Wölk, Monika, Aufklärung und Esoterik Rezeption- Integration- Konfrontation -Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 37, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2008, Seiten 477-507. Markschies, Christoph, Esoteric Knowledge in Platonism and in Christian Gnosis, in: Snyder, Gregory H. (Hg.), Christian Teachers in Second-Century Rome, Vigiliae Christianae, Supplements, Band 159, Brill Verlag, Leiden / Boston 2020, Seiten 45–59. Faivre, Antoine, Esoterik im Überblick. Geheime Geschichte des abendländischen Denkens, Herder Verlag, Freiburg 2001. Faivre, Antoine, Western Esotericism: A Concise History, State University of New York Press, Albany 1992/2010. Goodrick-Clark, Nicholas, The Western Esoteric Traditions. A Historical Introduction, Oxford University Press, New York 2008. Hanegraaff, Wouter, Esoterik und Demokratie Einige Klarstellungen, bpb Bonn, 2023: [https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/518297/esoterik-und-demokratie/). Hanegraaff, Wouter J., Esotericism, in: Wouter J. Hanegraaff (Hg.), Dictionary of Gnosis & Western Esotericism, Brill, Leiden 2006, Seiten 336-340. Hanegraaff, Wouter J., Western Esotericism: A Guide for the Perplexed, Bloomsbury Academic, London 2013. Iwersen, Julia, Was ist New Age? — Was ist Esoterik? Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 52, No. 1 (2000) Seiten 1-24. Mühlematter, Y., Zander, H., Occult Roots of Religous Studies. On the Influence of Non-Hegemonic Currents on Academia around 1900, de Gruyter Verlag, Berlin/Boston 2021. Neugebauer-Wölk, Monika (Hg.) Aufklärung und Esoterik, Studien zum achtzehnten Jahrhundert 24, Meiner Verlag, Hamburg 1999. Neugebauer-Wölk, Monika, Historische Esoterikforschung, oder: Der lange Weg der Esoterik zur Moderne, in: Neugebauer-Wölk, Monika, Geffarth R., Meumann, M. (Hg.), Aufklärung und Esoterik: Wege in die Moderne, Reihe Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 50, (Berlin, Boston: De Gruyter, 2013), Seiten 37-72, 41–43, 51–58. Pöhlmann, Matthias, Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen, Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Band 10826 Bonn 2022 (Herder Verlag, Freiburg 2021). Seeburger, Jérôme, Selbsterfüllendes Schicksal: Zur Kritik der esoterischen Ideologie, in: H. Beyer, H., & Schauer, A., (Hg.), Die Rückkehr der Ideologie: Zur Gegenwart eines Schlüsselbegriffs, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2021, Seiten 547-580. Stuckrad, Kocku von, Die Esoterik in der gegenwärtigen Forschung: Überblick und Positionsbestimmung, Zeitenblicke 5 (1) 2006. Stuckrad, Kocku von, Esoteric Discourse and the European History of Religion. In Search of a New Interpretational Framework, Scripta Instituti Donneriani Aboensis 20, 2008, Seiten 217-236. Stuckrad, Kocku von, Was ist Esoterik. Kleine Geschichte des geheimen Wissens, C.H. Beck Verlag, München 2004.

 

Abb. www.pixabay.com - gemeinfrei

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