Populismus „Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein, Nur tierischer als jedes Tier zu sein“

Populär: lat. popularis - zum Volk gehörig: Etwas ist in der Bevölkerung beliebt bzw. zustimmungsfähig oder trifft den Geschmack Vieler (Wacken Open-Air-Festival. André Rieu, die Salzburger Festspiele, die Bücher von Yuval Noah Harari). 

Populismus[1]: lat. populus – das Volk: Populismus wird eine politische Strategie oder ein politischer Stil genannt, der versucht Menschen (das „Volk“) mit vereinfachten Lösungen zu mobilisieren. Häufig richtet er sich z.B. gegen sogenannte Eliten, pluralistische Gesellschaften oder etablierte Institutionen. 

Popularität ist nicht gleich Populismus. Popularität ist keine politische Strategie oder ein politischer Stil. Aber populär zu sein, zählt zu den Voraussetzungen von Populismus. 

„Kommunikative Realität hat der Populismus aber gerade seiner Popularität zu verdanken.“[2]  Populismus will Popularität: Populismus, der keine Beachtung findet, gibt es nicht. 

Populismus - ein Chamäleon[3] 

Eine genaue Definition von Populismus scheint schwierig. Die Bezeichnung ist schwammig. Der Duden definiert in der 29. Auflage von 2024: 

„…von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (im Hinblick auf Wahlen) zu gewinnen.“[4] 

Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) definiert Populismus umfassender: 

„Populismus idealisiert das Volk und baut Feindschaft zur Elite auf…Populismus erzählt die Geschichte des von der Elite betrogenen Volkes...Populismus propagiert oft einfache Lösungen, bei der komplexe Zusammenhänge unter den Tisch fallen. Die Realität wird verkürzt dargestellt, und zwar mit dem Argument, dass alles andere den Eliten dazu dienen würde, das Volk zu betrügen.“[5] 

Je nachdem, welcher Fokus perspektivisch für die Definition des Terminus herangezogen wird (politische, ideologische, soziale, strategische, rhetorische, mediale), schillert der Terminus einem Chamäleon ähnlich und bleibt impressionistisch unscharf. [6] 

Trotz dieser Unschärfe lassen sich in Textur und Gestalt des Populismus einige inhärente Webmuster für die begriffliche Schärfung  nachdrücklich ausfindig machen und beschreiben.[7] 

(A) Populismus ist ein Relationsbegriff.[8] Ein Relationsbegriff benötigt etwas „Anderes“, um sein zu können. Relationsbegriffe beziehen sich auf etwas: Jeder Zweck ist es nur in Beziehung auf einen Willen. Ein Zweck muss, gewollt werden. Verantwortung ist ein mehrstelliger Relationsbegriff: Jemand ist für etwas gegenüber jemandem verantwortlich. Fremd ist ein Relationsbegriff: X ist nicht fremd, sondern erscheint Y als fremd. Dagegen sind Substanzbegriffe für ihre Existenz nicht von anderen Dingen abhängig, wie Ludwig Wittgenstein bemerkt: „Die Substanz ist das, was unabhängig von dem, was der Fall ist, besteht“.[9] 

(B) Populismus ist inhaltsleer. Populismus entpuppt sich als eine zusammengeklaubte „dünne Ideologie“. 

„Ich definiere Populismus als „dünne Ideologie“, welche die Gesellschaft letztlich in zwei homogene und antagonistische Gruppen teilt – „das wahre Volk“ sowie „die korrupte Elite“ –, und fordert, Politik solle ein Ausdruck der „volonté générale“ des Volkes sein.“[10] 

Die vereinfachte (manichäische) Vertikalspannung zwischen „wahrem Volk“ und „korrupter Elite“ (die da oben - wir da unten, anständige Menschen, der kleine Mann/Frau, die korrupte Elite etc.) ist ein Kernmerkmale dieser dünnen Ideologie. 

Um etwas vorlegen zu können, lehnt der Populismus sich an unterschiedliche Wirtsideologien (Nationalismus, Sozialismus) und Politikfelder (Innenpolitik, Außenpolitik, Klimaschutz, Flüchtlingspolitik, Marktwirtschaft) an. So fehlt ihm bspw. eine eigene Vorstellung darüber, was denn das beste ökonomische oder politische System sein soll usw. Diese ideologische Bricolage ist hohl und fadenscheinig. Uneindeutige und moralische hoch aufgeladene Themen, wie Volk, Elite, Tradition, Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Identität springen am Ideologiegebäude des Populismus wie unförmige Gargouille hervor. Allein, sie bleiben Ornament. 

(C) Für den Populismus ist Demokratie ideologisch bedingt anziehend: Gesetzt Volkssouveränität und Mehrheitsregierungen stehen als Minimaldefinition für Demokratie, dann ist dem Populismus eine Affinität zur Demokratie nicht absprechbar. Denn schließlich wird von ihm eingefordert, dass Politik Ausdruck des Volkswillens sein soll. Gleichzeitig besteht aber eine, wenn man so will, Erzfeindschaft zu den Herzstücken liberaler Demokratien wie Minderheitenrechten, Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit. 

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten, Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt[11] 

Populistische Muster lassen sich bereits in der Demokratie Athens (5. Jahrhundert v. Chr.) und in der späten römischen Republik im 2. Jahrhundert v. Chr. [Tiberius Sempronius Gracchus (+133 v. Chr.) und Gaius Sempronius Gracchus (+121 v. Chr., sowie die Popularen Gaius Marius (+86 v. Chr.), Publius Clodius Pulcher (+52 v. Chr.), Lucius Cornelius Cinna (+84 v Chr.)] aufzeigen. Die Kampagnen des Cola di Rienzo im Spätmittelalter in Rom (+1354) und die Agitationen Savonarolas (+1498) im Florenz der Renaissance verweisen auf Muster des gegenwärtigen Populismus – und umgekehrt.[12] 

„Die für moderne Formen des Populismus charakteristische Frontstellung gegen »die da oben« kam in früheren Zeiten ebenso zum Tragen wie auch das Versprechen populistischer Agitation, im vermeintlichen Interesse dieses Volkes zu handeln.“[13] 

Prominent ist dabei auch hier die Frontstellung von „Volk: die da unten“ und „Elite: die da oben“. 

Populismus als Phänomen und als Terminus taucht dann erstmals Ende des 19. Jahrhunderts in US-amerikanischen und russischen Diskursen auf, um politische Protestbewegungen zu beschreiben - in den USA People‘s Party und in Russland Narodniki

Im Vordergrund der Bewegungen standen die Belange und die Mobilisierung der Landbevölkerung, bzw. die Unzufriedenheit mit gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen. 

In der europäischen Öffentlichkeit ist der Begriff spätestens Ende des 19. Jahrhunderts präsent. Ab 1920 findet der Begriff in Mittel- und Südamerika (Kuba) Erwähnung. [14] Zeitgenossen in Deutschland etikettieren die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), gegründet 1918, als populistische Partei.[15] 

Die Auseinandersetzung mit Begriff und Konzept des Populismus erfährt schließlich im akademischen Diskurs ab Mitte des 20. Jahrhunderts - vor allem in den Politikwissenschaften und der Soziologie - einen unvergleichlichen Schub.[16] Dies vor allem in Auseinandersetzung mit lateinamerikanischen Ländern, in denen der Populismus eine führende Rolle einnimmt (Perónismus).[17] 

Mitte des 20. Jahrhunderts ist Populismus ein Merkmal der Demokratie, und im 21. Jahrhundert eines der gewichtigsten Schlagworte in der politischen Arena.[18] 

Dr. Armin Kutscher 2024 

 

Quellen: 

* Goethe, J. W. von, Faust. Der Tragödie erster Teil. Herausgegeben und kommentiert von Erich Trunz, C. H. Beck Verlag, München 1972, Seite 9. 

[1] Das Suffix -ismus steht im Sprachgebrauch zumeist für die Übersteigerung oder gar Verabsolutierung einer Grundeinstellung oder Haltung. Es setzt Begriffen für Theorien, Bewegungen, Denksystemen und dem damit zusammenhängenden Verhalten häufig einen negativen Akzent auf: Imperialismus, Neofaschimsus, Terrorismus, Ökonomismus, Fundamentalismus. Die Endung wird auch positiv konnotiert: Konsequentialismus, Idealismus, Altruismus, Hedonismus, Impressionismus, Tourismus, Magnetismus. 

[2] Werber, Niels, Popularität und Populismus, in: Elke Dubbels, Jürgen Fohrmann, Andreas Schütte (Hg.), Polemische Öffentlichkeiten. Zur Geschichte Und Gegenwart von Meinungskämpfen in Literatur, Medien und Politik, transcript Verlag, Bielefeld 2021, Seiten 185–204, hier Seite 191. 

[3] Taggart, Paul, Populism and Representative Politics in Contemporary Europe, in: Journal of Political Ideologies 9 (2004), Seiten 269–288, Seit 275: „The lack of core values means that populism tends to be highly chameleonic“. 

[4][4] https://www.duden.de/rechtschreibung/Populismus

[5] Paula Diehl, Was ist Populismus (2017) https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/netzdebatte/260878/was-ist-populismus

[6] Backes, Uwe, Populismus - Konturen, Triebkräfte und Gefahren eines facettenreichen politischen Phänomens, Geschichtsbewusst (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts , erschienen in: Das Public-History-Portal der Konrad-Adenauer-Stiftung 2024. https://www.kas.de/de/web/geschichtsbewusst/essay/-/content/populismus-definition-geschichte-gefahren-politik

[7] Vgl. hierzu: Mudde, Cas, Populismus in Europa: Von den Rändern zum Mainstream, in: Totalitarianism and Democracy, Vol. 17, Issue 1: Rechts- und Linkspopulismus, 2020, Seiten 13-34, hier Seite 15. 

[8] Der Relationsbegriff bei Aristoteles: τὸ πρός τι = das „Auf-etwas-hin“. Aristoteles, Philosophische Schriften, Band 1, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1995, Kategorien, Kapitel 7, 6a26f. Conti, A.D., La teoria della relazione nei commentatori neoplatonici delle Categorie di Aristotele, in: Riv. crit. di storia della filos. 38 (1983), 259-283. Werner, H. Micha, Verantwortung, in: Düwell, M., Hübentahl, C., Werner, M.H. (Hg.) Handbuch Ethik, Metzler Verlag, Stittgart S. 521f. Priester, Karin, Wesensmerkmale des Populismus, Aus Politik und Zeitgeschichte, APuZ 5-6/2012, 3-9. 

[9] Wittgenstein, Ludwig, Tractatus logico-philosophicus 2.024, Werkausgabe, Band 1, Suhrkamp Verlag 22. Auflage, Frankfurt a. M. 2006, Seite 13. „Der Begriff „Substanz“ bezeichnet in der philosophischen Tradition den „Träger“ von Eigenschaften …das in der Veränderung Beharrende …“, Freudenthal, Gideon, Substanzbegriff und Funktionsbegriff als Zivilisationstheorie bei Georg Simmel und Ernst Cassirer, in: Bauer, L., Hamberger, K. (Hg.), Gesellschaft denken. Eine Erkenntnistheoretische Standortbestimmung der Sozialwissenschaften, Springer Verlag, Berlin New York 2002, Seiten 251-276, hier Seite 254. 

[10] Mudde, Seite 15. 

[11] Goethe, J. W. von, Faust. Der Tragödie erster Teil. Herausgegeben und kommentiert von Erich Trunz, C. H. Beck Verlag, München 1972, Seite 9. 

[12] Flender, Armin, Populismus und Demokratie. Anmerkungen zu einer beziehungsreichen Geschichte, in: Schellhöh, Jennifer, Reichertz Jo, Heins, Volker M., Flender, Armin (Hg.), Großerzählungen des Extremen - Neue Rechte, Populismus, Islamismus, War on Terror, transcript Verlag, Bielefeld, 2018, Seiten 63-66. Vgl. Robb, M. A., Beyond Populares and Optimates. Political Language in the Late Republic, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2010, Seite 56. Martin, Jochen, Bedingungen menschlichen Handelns in der Antike. Gesammelte Beiträge zur Historischen Anthropologie, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2009, Seiten 25-195. 

[13] Flender, Seite 66. 

[14] Nachweislich in Frankreich 1912, vgl. Fuentes, Juan Francisco, Populism. The Timeline of a Concept Contributions to the History of Concepts, Vol. 15, No. 1, 2020, Seiten 47-68, hier Seite 54. 

[15] Fuentes, Seite 57. 

[16] Schmid, Riccarda, Riedweg, Christoph, Walser, Andreas Victor, Einleitung, in: Riedweg, Christoph, Schmid, Riccarda Walser, Andreas Victor, Demokratie und Populismus in der griechischen Antike und heute: Akten der ersten internationalen Tagung des ZAZH – Zentrum Altertumswissenschaften Zürich, UZH, 2020, Band 415 der Reihe Beiträge zur Altertumskunde, De Gruyter Verlag, Berlin 2024, Seiten 1-26. Vgl. Jörke, Dirk, Selk, Veith, Theorien des Populismus. Zur Einführung, Junius Verlag, Hamburg 2017, Seite 32, 36. 

[17] Fuentes, Seite 61. Flender, Armin, Populismus und Demokratie. Anmerkungen zu einer beziehungsreichen Geschichte, in: Schellhöh, Jennifer, Reichertz Jo, Heins, Volker M., Flender, Armin (Hg.), Großerzählungen des Extremen - Neue Rechte, Populismus, Islamismus, War on Terror, transcript Verlag, Bielefeld, 2018, Seiten 59-68. Nabers, Dirk, Stengel, Frank A., Trump und der Populismus, Eine Publikation der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, Februar 2017, Seiten 1-40, Seite 13 https://www.boell.de/sites/default/files/trump-und-der-populismus.pdf. Kronenberg Volker, Becker Manuela, Populismus (2020), https://bibelwissenschaft.de/stichwort/200757, Llanque, Marcus, Seite 93. Puhle, H.-J., Populismus: Form oder Inhalt?, in: Otten, Henrique Ricardo, Sicking, Manfred (Hg.), Kritik und Leidenschaft. Vom Umgang mit politischen Ideen, Edition Politik, Band 2, transcript Verlag, Bielefeld 2011, Seiten 29-48. 

[18] Fuentes, Seite 68. Kirste, Stephan, Populismus als Herausforderung für die konstitutionelle Demokratie, Zeitschrift für Praktische Philosophie, Band 6, Heft 2, 2019, S. 141–170, Seite 146. 

Abb. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Devil_and_Dr._Faustus_meet._Wellcome_L0031469.jpg.https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gargoyle,_St._Paul_Cathedral,_Oakland,_Pittsburgh,_2021-10-07,_01.jpg. www.pixabay.com - gemeinfrei

 

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