Adorno zeigt, dass im Unternehmensalltag und Gesellschaft, bloße Meinungen und Konformismus problematisch sind.
Häufig stammen Meinungen aus Konventionen, Gruppendruck oder unreflektierten Denkmustern. Das lässt sich beobachten, wenn Mitarbeitende und Führungskräfte dazu neigen zu wiederholen, was erwartet wird und als „Mainstream“ gilt.
Dieser Konformismus ist bequem: man tanzt nicht aus der Reihe und vermeidet Konflikte.
Adorno kritisiert nun, dass genau diese Bequemlichkeit des Denkens eine Innovationskultur verhindert. Sie konserviert Machtstrukturen, Durchschnittlichkeit und Bevormundung.
Hier erkläre ich genauer, was gemeint ist:
Der Philosoph, Soziologe und Musikphilosoph Theodor W. Adorno († 1969) unterscheidet in seiner kritischen Theorie, wie Karl Popper und H.-G. Gadamer zwischen Meinungen und Argumenten.
Für ihn ist es nicht haltbar, dass Meinungen als gleichwertig mit rationalen Argumenten behandelt werden.
„Meinung ist die wie immer auch eingeschränkte Setzung eines subjektiven, in seinem Wahrheitsgehalt beschränkten Bewußtseins als gültig“, (Adorno, MWG, 574).
Meinungen sind selten reflektiert.
„Meinungen sind so beschaffen, dass sie tendenziell ihre Resultate früher haben, als sie gedacht werden“, (Adorno, APD, 605).
Anders Argumente: sie stützen sich auf kritische Reflexionen und Begründungen.
Meinungen speisen sich in vielen Fällen aus subjektiven, vorherrschenden Vorurteilen, Urteilen, Traditionen oder Konventionen. Sie ergeben sich aus den bestehenden gesellschaftlichen und unternehmerischen Verhältnissen (Adorno, MWG, 593).
Eine Meinung ist angemessen, wenn sie am Anfang eines Verständigungsprozesses steht und am Ende dieses Prozesses der Realität näherkommt. So gesehen ist die Meinung ein Teil der Wahrheitsfindung.
Im Unternehmensalltag geht es im besten Fall darum, sich objektiv und sachlich der Realität eines Sachverhaltes zu nähern. Doch anstelle sachgemäßer und vernünftiger Einsichten zu einem Sachverhalt, werden vielfach individuelle, emotionale und standardisierte Meinungen vertreten – ohne echte Überprüfung oder Infragestellung.
Standardisierte Meinungen zeugen vor allem von dem Bedürfnis, Teil einer Gruppe, eines Teams zu sein, der/dem gegenüber man sich nicht abweichend verhalten will. Man passt sich an.
„Schlecht am Gedanken ist all das, was ungebrochen …Position wiederholt; was so redet wie jene, die vorweg… gleicher Meinung sind“, (Adorno, MWG, 594).
Diese Anpassungsbemühungen (Konformismus) schmiegen sich den erwartbaren und vorherrschenden Meinungen an. Dabei steht viel auf dem Spiel: kritisch zu reflektieren und zu argumentieren wird ausgesetzt. Erkenntnisfortschritt preisgegeben. Stattdessen wird das Vorgefundene und Vorgesagte noch bestätigt und verteidigt.
Konformistische sind Meinungen „Verhärtungen“ des Denkens: Sie schwächen jede Debattenkultur und schwächen kritisches Denken in gefährlicher Weise. Schließlich verkapseln sich jene Meinungen gegen Widerspruch, indem jede kritische Stimme als bloße Variation im Meinungsspektrum abgewertet wird und gleich gültig ist.
Selbst dann bewegt sich nichts, wenn diese Meinungen widerlegt werden: Der Einwand wird als bloße, gleich gültige Gegenmeinung (narzisstisch) abgewertet.
„Die Klugheit, die in der Welt aufgewandt wird, um narzißtisch Unsinn zu verteidigen, reichte wahrscheinlich aus, das Verteidigte zu verändern“, (Adorno, MWG, 576).
Hingegen ist ein Argument eine begründete Aussage. Eine Aussage, die sich einer rationalen Überprüfung stellt. Argumente legen nachvollziehbare Gründe vor und können ausgetauscht und problematisiert werden. Sie sind offen für Kritik und reifen an ihren Gegenargumenten.
Für Adorno haben Argumente aber nicht allein die Funktion, vernünftige Gründe für Meinungen vorzulegen. Ein Argument macht zu dem die Widersprüche gesellschaftlicher und unternehmerischer Wirklichkeiten und Praxis sichtbar.
Argumente sind dann Werkzeuge der Aufklärung, die nicht auf sachgemäße Einschätzungen oder endgültige Wahrheiten abzielen, sondern fortwährend gesellschaftliche und unternehmerische Widersprüche offenlegen und reflektieren.
„Der Denkende muss es riskieren, darf nichts unbesehen eintauschen oder abkaufen … Die meiste Dummheit des Denkens formiert sich dort, wo jene Courage … unterdrückt ward“, (Adorno, APD, 605).
Ein Argument – nach Adorno – will die Widersprüche in Unternehmen und Gesellschaft aufdecken und thematisieren. Es genügt also nicht, sich in bloßer logischer Stringenz wund zu reiben. Es gilt vielmehr noch die Zustände, die Menschen einschränken, gängeln und entmündigen, offen zu legen.
Adornos Anspruch an Argumente ist hoch: Sie sind kein bloßes Mittel, um zu begründen, sondern ein Werkzeug der Emanzipation von herrschenden Denkmustern, unternehmerischer Starrheit und Realitätsferne, konformen Echokammern, selbstreferentieller Arroganz und Ignoranz.
©Dr. Armin Kutscher, 6/2025 (ohne KI)
Literatur:
Adorno, Theodor W., Meinung Wahn Gesellschaft [MWG], in: Gesammelte Schriften, Band 10/2: Eingriffe. Neun kritische Modelle, herausgegeben von Rolf Tiedemann, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1977, Seiten 573-594.
Adorno, Theodor W., Anmerkungen zum philosophischen Denken [APD], in: Gesammelte Schriften, Band 10/2: Eingriffe. Neun kritische Modelle, herausgegeben von Rolf Tiedemann, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1977, Seiten 599-607.
Abb. www.pixabay.com-gemeinfrei
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