Im Alltag, im gesellschaftlichen Miteinander, im beruflichen Umfeld: Immer sind wir einem Meinungsgewitter ausgesetzt. Jeder hat eine Meinung. Manche haben viele. Das ist nicht selten anstrengend, irritierend und – wenn emotional ungehemmt vorgebracht – destruktiv. Aber wer wirklich etwas bewegen will, braucht mehr eine Meinung: Verständigungs-bereitschaft, Vernunftgründe, Argumente und Kritikfähigkeit.
Für den österreichisch-britischen Philosophen Sir Karl Popper († 1994) – seine Logik der Forschung (1934) hat das Verständnis von Wissenschaft und wissenschaftlicher Methode maßgeblich geprägt – sind Meinungen individuelle Überzeugungen oder Vermutungen.
Wie wir zu belastbarem Wissen gelangen, ist der Weg der Erkenntnislogik.
Sie interessiert sich „…nur für Geltungsfragen – das heißt für Fragen von der Art: ob und wie ein Satz begründet werden kann. Damit aber ein Satz in diesem Sinn erkenntnislogisch untersucht werden kann, muß er bereits vorliegen; jemand muß ihn formuliert, der logischen Diskussion unterbreitet haben“, (Popper, LF 4).
Meinungen müssen vorgebracht werden (dürfen) damit sie überprüft werden können. Überprüft wird die Möglichkeit, die Aussagen überhaupt zu überprüfen.
"Wir fordern ja nicht, daß jeder Satz tatsächlich nachgeprüft werde, sondern nur, daß jeder Satz nachprüfbar sein soll“, (Popper LF 19).
Meinungen – vorgebracht und formuliert – wollen in einer logischen Diskussion, einem Dialog, in dem Ideen, Meinungen oder Wissen ausgetauscht, diskutiert und kritisch hinterfragt werden, überprüfbar sein. Im besten Fall werden so mit vernünftigen, nachvollziehbaren Gründen subjektive Behauptungen von (wissenschaftlich) relevanten Aussagen unterschieden.
Denn „…subjektive Überzeugungserlebnisse[können] niemals die Wahrheit wissenschaftlicher Sätze begründen“ (Popper, LF 17). In diesem Prozess, sich seines Verstandes zu bedienen, kann eine Meinung zu einem relevanten Geltungsgrund reifen.
Geltungsgründe und -ansprüche sind jedoch keine installierten und unverrückbaren Wahrheiten:
„Der Ehrgeiz, recht zu behalten, verrät ein Mißverständnis: nicht der Besitz von Wissen, von unumstößlichen Wahrheiten …, sondern das rücksichtslose, unablässige Suchen nach Wahrheit…“, ist entscheidend (Popper LF 209).
Wesentlich geht es Popper darum, Vermutungen und Meinungen, ja selbst wieder die vorgebrachten vernünftigen Gründe, kritisch auf ihre Widerlegbarkeit hin zu prüfen, um Tatsächlichkeit und Wahrheit näher zu kommen.
Popper nennt diese Überprüfung Falsifikation (Für- falsch-Erklären): Meinungen, Argumente, Thesen, Behauptungen usf. müssen überprüfbar und grundsätzlich widerlegbar sein. Unbrauchbar und abträglich sind Meinungen, die sich nicht nur nicht durch Beweise entkräften lassen (falsifizierbar sind) wollen, sondern sich der Überprüfbarkeit selbst noch entwinden.
Eine Meinung ist nicht grundsätzlich irrational oder unvernünftig. Meinungen können den Ausgangspunkt für einen Dialog, einen Aushandlungsprozess und einen Erkenntnisprozess bilden, in dem die Annäherung an die Wahrheit und Tatsächlichkeit mit vernünftigen Gründen, Argumenten stattfindet.
Fahrlässig unterlaufen wird dieses Prinzip gegenwärtig in den Esoterikszenen, populistischen Bewegungen und Verschwörungskreisen. Kritischer Überprüfung der eigenen Meinungen gegenüber wird sich immunisiert; jede Kritik selbst wird wieder als Teil einer Verschwörung interpretiert. Eine kritische Überprüfung findet nicht statt.
Dies disqualifiziert nach Popper:
„Niemand ist ernstzunehmen, der sich gegen Kritik unangreifbar gemacht, also 'immunisiert' hat“, (Popper, RP 119).
Für Esoteriker, Verschwörungstheoretiker und Populisten bedeutet Poppers Ansatz eine klare Provokation und eine Grenze: Wer ernst genommen werden will, muss seine Behauptungen kritikfähig machen und sie der Überprüfung überlassen.
Und wer das nicht will, emotionalisiert und schwafelt. Hier wäre eine Haltung vielversprechender, die Kritik sucht:
„Kritik soll man nicht ablehnen, auch nicht nur ertragen, sondern man soll sie suchen“, (Popper RP, 119).
Emotionalisieren und schwafeln mag – mittlerweile ein Volkssport –kurzfristig Menschen mobilisieren, verhindert aber einen unvoreingenommenen Dialog, vorurteilslose Differenzierungen und tragfähige Entscheidungen.
Meinungen, als Ausgangspunkt für Neues, kreative Ideen und tragfähige Entscheidungen haben einen praktischen Wert. Doch erst, wenn sie von den Mühlsteinen der Falsifikation, der Kritik und besseren Argumente etc. aufgebrochen sind und damit erschlossen werden können, haben sie einen Nährwert für einen vernünftigen Dialog in Gesellschaft, Unternehmen, Ehrenamt und Politik.
Und wer keine Begründungen für seine Meinungen vorlegen, und wer keine Kritik zulassen will – der enthalte sich vielleicht besser.
Oder, wie der Philosoph Ludwig Wittgenstein formuliert: „…und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen“.**
©Dr. A. Kutscher 6/2025
Ohne KI
*Lichtenberg, Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher I, hrsg. von Wolfgang Promies, J II 1389, dtv- Verlag, München 2005, Seite 255.
**Wittgenstein, Ludwig, Tractatus logico-philosophicus, Vorwort, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2006, Seite 9.
Popper, Karl R., Logik der Forschung [LF], Springer Verlag, Wien 1935 (1934).
Popper, K. R., Rechte und Pflichten derer, die von ihren Mitmenschen lernen wollen [RP], in: Aufklärung und Kritik, 1 (1994) 1, S. 119
Popper, Karl, R., Science: Conjectures and Refutations (1963) - Wissenschaft: Vermutungen und Widerlegungen, Reclam Verlag, Ditzingen 2022.
Abb.: www.pixabay.com - gemeinfrei
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